Allgemein bekannt sind die verschiedenen Typen von Autoren, die man schreibtechnisch in jene unterteilen kann, die eine Geschichte durchplanen und in jene, die einfach drauflosschreiben und schauen, was passiert. Es gibt auch eine gewisse Mischform, das sind jene Autoren, die zwar nicht vorausplanen, aber trotzdem ungefähr wissen, wo sie hinwollen, nur den Weg zum Ziel nicht kennen. Aber generell kann man es auf die beiden Haupttypen runterbrechen, wobei die “Writing in the Dark” Fraktion jene ist, deren Vorgehen immer wieder Stoff für Diskussionen darstellt.
Aber ich möchte eine weitere Variation in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken – nämlich mich. Ha ha ha. Ernsthaft. Bei den meisten meiner Werken, ob das zum Vorteil oder Nachteil ist, sei dahingestellt, manche gelingen mir besser, andere weniger, habe ich keine Idee, wohin die Reise geht. Das ist spannend, führt aber bei der einen oder anderen Gelegenheit auch volle Kraft voraus ins Desaster.
Beispiel? Einer meiner angefangenen Fantasy-Zyklen, der nie auch nur in die Nähe der Fertigstellung kam (aber nicht vom Tisch ist), war das bis dahin am genauesten durchgeplante Projekt, das ich in Angriff nehmen wollte. So umfangreich wie die Tad Williams* mit seinem Zyklus Das Geheimnis der großen Schwerter aka die Osten Ard -Romane, mit sehr merkwürdigen Schauplätzen, ausgeprägten Elementen der mechanischen Technik, Zeitblasen, was weiß der Kuckuck noch alles. Wirklich durchgeplant, inklusive Verzahnung mit anderen Zyklen. Also eine Mischform der obigen Typen von Schreibenden, mit etlichen Zwischenschritten ist mir klar, wohin es gehen soll, die Details werden unterwegs hinzugefügt.
Ich schreibe. Die ersten hundert Seiten des Manuskripts strömen geradezu die Details wachsen, der epische Prolog lässt mich ausnahmsweise mal stolz auf mich sein, die künftige Heldin tritt ihre unvermeidliche Flucht bzw. Reise an und … peng! Schlagartiger Stillstand. Was ist passiert?
Tja. Ich hatte ganz zu Beginn in den einleitenden Kriegshandlungen ein ganzes Volk vernichtet. So richtig von der Landkarte gefegt, weil das Böse wirklich böse war. Das Problem dabei – hundert Seiten später fehlt es. Es war entscheidend, um überhaupt die Geschichte fortsetzen zu können und ich hatte es aus der Story geballert. Im Endeffekt musste ich den Zyklus aufgeben, mir fiel kein Weg um, die Geschichte so zu ändern, dass das Volk entweder überlebt oder nicht benötigt wird. Klappte nicht. Es hat mich aber darin bestätigt, dass Planung nicht wirklich sinnvoll ist, wenn man sie nicht allzu exzessiv betreibt. Mag auch meine Unfähigkeit sein, wer weiß. Aber immerhin gibt es auch von George R.R. Martin, dem Gottvater der Fantasyliteratur (googelt das bitte selbst, ich habe gerade keine Zeit dafür, sorry), ein altes Interview, in dem er auf die riesigen Abstände zwischen den Büchern einging und erklärte, dass er “Writing in the Dark” betreibe und da schon auch mal über Fehler stolpere und dann großräumig umschreiben müsse.
Ok, ich bin abgeschweift.
Die weitere Variation war das Thema, also ich. Ich gehöre eher der “Writing in the Dark” Fraktion an und fühle mich recht wohl dabei. Aber ich habe dafür einen anderen Tick, der mir … siehe die Überschrift.
Ich brauche einen Titel, bevor ich schreibe. Es fällt mir wahnsinnig schwer, ein Manuskript zu starten, dessen Titel nicht von vornherein fixiert ist. Das klappt nicht. Der Titel ist für mich wie die Rettungsleine, an der entlang ich mich durch die Dunkelheit bewege. Und wenn der Titel nicht stimmt, stockt auch das Schreiben. Das habe ich schon viel zu oft erlebt, um das als Quatsch abzutun. Der Titel ist definitiv ein Thema bei mir und das mag wohl auch die große Anzahl von Entwürfen erklären, wo nichts weitergeht – der Titel funktioniert nicht.
Und damit sind wir bei … SHE! Dieses elendige Miststück. Ich habe den Roman in den letzten bald drei Jahren zweimal komplett von vorn angefangen, wochenlange Unterbrechungen und rausfliegende Kapitel am Hals gehabt. Ich schreibe sehr schnell und ich schreibe sehr laut – meine Finger hämmern wirklich mit brutaler Kraft in die Tastatur, Stakkato. Was, wie mir unlängst ins Bewusstsein gerufen wurde, danke, vielleicht damit zusammenhängt, dass ich das Schreiben auf einer verdammten mechanischen Schreibmaschine gelernt habe! Und um da einen Buchstaben in Bewegung zu setzen, braucht man einen ganz anderen Anschlag als bei Laptop oder PC.
Schon wieder abgeschweift.
Ja, also schnell und viel an einem Tag geschrieben und SHE bringt mich dazu, das gesamte Tagwerk zu verwerfen. Nicht nur einmal, sondern wieder und wieder und wieder und so weiter. Tage, Wochen, Monate. Und ich komme nicht und nicht weiter.
Eine der Lösungen für das Problem – in einem ungeahnten Ausmaß – war das Umstellen meines Arbeitsplatzes. Das hing mit dem Chaos hier zusammen. Der Tisch steht jetzt richtig und das hat einen Befreiungsschlag in meinem Kopf ausgelöst, der mich immer noch geradezu schockiert! In meinem Kopf brechen Blockaden und Sperrungen zusammen, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie vorhanden sind.
Meine Textverarbeitung glänzt mit durchschnittlich sieben Reitern, in denen verschiedene Texte in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung darauf harren, weitergeführt zu werden. Einer dieser Reiter gehört SHE. Und nachdem ich durch das Umstellen jetzt deutlich aktiver und offensiver und mit weit mehr Energie an das Schreiben rangehen kann, habe ich mir wieder mal dieses Miststück vorgenommen. Ich habe die letzten Wochen es nicht gewagt, in dieses Manuskript zu schauen. Und ich schaue es mir an, fange an und verstehe nicht, was hier im Argen ist – wieder einmal. Und ganz plötzlich weiß ich es. Der Titel. Der gottverdammte, beschissene Titel. Er ist falsch, platt, funktioniert nicht und versucht dem Inhalt eine andere Bedeutung aufzuzwingen.
Und kurze Zeit danach – peng. Das ist der Titel. So muss es heißen. Ich ändere. Und seitdem schreibe ich. Ich verändere, schreibe um, lösche, korrigiere, wechsle Formulierungen, beginnend bei Seite 1. Aber es fließt schnell und es fühlt sich jetzt verdammt richtig an. Das war also das Problem. Ein falscher Titel und das nur, weil ich nicht in der Lage bin, eine Geschichte zu schreiben, deren Arbeitstitel so etwas wie “Arbeitstitel” oder “Neuer Roman” oder “Fuck you, Bitch” ist. Ich brauche einen Titel, der mich durch das “Writing in the Dark” führt, einen Titel, der die Geschichte in die richtige Richtung schickt.
Es ist toll, vorab zu wissen, was man schreibt, dem Ding auf Nachfrage einen Namen geben zu können hat was. Es ist unsäglich und quälend, wenn der Name, den das Ding trägt, falsch ist. Ich habe keine Idee, wie viele Autoren sich mit diesem Problem herumschlagen oder ob ich der einzige Idiot bin, der so vom Titel abhängig ist.
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*Dieser Zyklus – das sind die Bücher, die mit Drachenbeinthron ihren Anfang nehmen, sind übrigens “schuld” daran, dass George R.R. Martin die Welt mit Ein Lied von Eis und Feuer aka Game of Thrones, bereichert hat. Lässt sich per Suchmaschine nachlesen.
Der Beitrag [SCHREIBWERKSTATT]: Sich selbst ein paar Beine stellen … erschien am 10.05.2019 auf JohnAysa.net …
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