Die in Foren und Kommentaren oft umstrittene Berechnung und Nennung des Umfangs hat durchaus ihren Vorteil. Auch wenn es den Eindruck macht, als würde das klassische Verlagswesen nach und nach – nein, es bleibt. Es wird sich ändern, aber es wird bleiben. Und mit ihm gewisse Regeln.
Wie so oft ist der englischsprachige Raum in dieser Hinsicht entspannter und hilfreicher. Dort ziert man sich weniger, die Dinge beim Namen zu nennen.
Wie schon im ersten Teil des Beitrags angemerkt, wird überall außer bei uns die Zählung der Wörter anstatt der Zeichen verwendet. Deshalb ist dieser Beitrag auch, in dieser Hinsicht wenigstens, “wortlastig”. Fangen wir an.
Textumfang:
— KURZGESCHICHTE: bis 7.499 Wörter
— NOVELLETTE: 7.500 -17.499 Wörter
— NOVELLE: 17.500 – 39.999 Wörter
— ROMAN: ab 40.000 Wörter, manchmal auch ab 50.000 Wörter
Für die Novellette haben wir keine Entsprechung. Die wörtliche Übersetzung nennt Romanze, Novelle und Kurzroman.
An den genannten Zahlen fällt auf, dass sie relativ klein sind. Wenn dir einmal ein Buch von George R.R. Martin auf die Zehen geknallt ist, dann weißt du, dass das definitiv mehr als 50.000 Wörter waren, die dich getroffen haben. Die Zahlen sind historisch bedingt und stellen wie üblich Richtlinien dar. Nehmen wir einen Klassiker der Literatur, eines der bedeutenden Bücher: Der alte Mann und das Meer, von Ernest Hemingway, geschrieben 1951. Das Werk umfasst 26.000 Wörter, ist also eine Novelle. Und zählt zu den bedeutendsten Werken der Literatur des 20. Jahrhunderts. Die Richtlinien sind wichtig, für die Verleger vor allem, aber sie sind nicht das um und auf.
Umfang nach Genres:
Man kann die Umfangsvorgaben noch weiter aufsplitten. The Write Practice – dahinter steht ein ehemaliger Literatur-Agent, hat 2015 den Textumfang auf Genres runtergebrochen. Dabei kommt folgendes zum Vorschein:
— LITERATUR ALLGEMEIN: ca. 80.000 Wörter
— SCIENCE-FICTION / FANTASY: ca. 115.000
— MYSTERY & THRILLER: ca. 80.000 Wörter
— KRIMI: ca. 60.000 – 80.000 Wörter
— ALL AGE: ca. 60.000 Wörter
— MEMOIREN: ca. 80.000 Wörter
Alles vortrefflich zu diskutieren. Und in zahllosen Beispielen widerlegbar. Wobei du entweder ein Genie in Sachen Literatur sein musst oder ein Name, der Millionen Bücher verkauft, um mit einem Krimi in den Dimensionen von Harry Potter und der Orden des Phönix beim Verlag Anklang zu finden. Beispiele für die Ignoranz solcher Zahlen gibt es einige, quer durch die Genres und die Epochen.
Ignoranz der Textvorgaben:
— Victor Hugo: Die Elenden (Les Miserables, 1862): 530.000 Wörter
— George R.R. Martin: A Dance with Dragons: 420.000 Wörter*
— Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer: 26.000 Wörter
— Ray Bradbury: Fahrenheit 451: 46.118 Wörter
— J. K. Rowling: Harry Potter – Orden des Phönix: 257.154 Wörter
— Brandon Sanderson: Oathbringer (Sturmlicht-Archive 3): 461.223 Wörter**
Demnach also wäre Fahrenheit 451 gerade noch ein Roman und J.K. Rowling hat den Umfang von Jugendbüchern 4x gesprengt. Hugos Monstrum wurde zerlegt und in Einzelteilen veröffentlicht. Und eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts ist gar kein Roman!
*Der Roman von George R.R. Martin erschien auf Deutsch in 2 Bände aufgeteilt: Der Sohn des Greifen und Ein Tanz mit Drachen. Die Neuausgabe in einem Band trägt jetzt den Titel Ein grimmiger Feind, ein treuer Freund.
**Das ist der Umfang der ersten Fassung, die Sanderson im Frühjahr 2017 an seinen Verlag TOR abgeliefert hat. Die im November 2017 erscheinende finale Fassung unterscheidet sich vermutlich um die eine oder andere Tausender-Zahl, aber in Relation zum Gesamtumfang bescheiden.
Zu guter Letzt noch ein ganz praktisches Beispiel – ein John Scalzi Word-Count. Scalzi ist Science Fiction Autor, sehr erfolgreich. Was nochmal ist die Vorgabe für Science Fiction? 115.000 Wörter:
— REDSHIRTS (Redshirts*): 55.000 Wörter
— THE ANDROID’S DREAM (Androidenträume): 115.000 Wörter
— THE HUMAN DIVISION (Die letzte Einheit): 135.000 Wörter
— THE COLLAPSING EMPIRE (Kollaps, 10/2017): 90.000 Wörter
*Redshirts war perverserweise beim Heyne Verlag in der 1. Auflage der dickste und teuerste Roman. Aufgebläht auf Paperback-Format, mit einem absurden Satzspiegel versehen. Ausgerechnet der dünnste Roman. Grotesk. Alles andere wurde als günstigere Taschenbücher veröffentlicht. Da stellt sich die Frage …
Man sollte die Regeln kennen, um sie zu missachten. Und um sie zu missachten, sollte man wissen, was man tut. Um das zu wissen, sollte man das Handwerk beherrschen. Und zur Beherrschung des Handwerks gehört das Wissen um dessen Regeln.
ANMERKUNG:
Viele Informationen dieser Art kommen aus dem klassischen Verlagswesen. Wir wissen allesamt, dass die Änderungen und Umbrüche auch dort enorm sind. All die Regeln und Messungen sind in dem Moment hinfällig, wo der Autor beschließt, das Buch rein als eBook zu veröffentlichen. Was kümmert es den Reader, ob es 70 oder 7000 Seiten sind? Einzig die Leserschaft entscheidet, ob das, was sie da vorgesetzt bekommt, ihren Vorstellungen und Erwartungen entspricht.
Trotzdem oder gerade weil sich die Möglichkeiten unendlich verfielfacht haben, kann es nicht schaden, das grundlegende Wissen der Branche wenigstens in Ansätzen zu kennen. Für viele Neueinsteiger oder Schreibende, die in eine Krise geraten, ist eine solche Orientierungshilfe oft praktisch. Auch für Autoren, die einen Genre-Wechsel durchziehen, mag manches davon von Interesse sein.
Wem das alles egal ist und wer seinen Weg ohne solche Informationen geht und gehen kann, dem sei gratuliert. Beste Wünsche! Aus meiner Erfahrung gesehen, ich habe für Verlage geschrieben und bin Self-Publisher, ist es durchaus hilfreich, diese Vorgaben und Ideen zu kennen, die in der Verlagswelt immer noch eine bedeutende Rolle spielen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Kultplatz.net und wird jetzt auf JohnAysa.net und DingeDesAlltags.com zusätzlich eröffnet. Weitere Beiträge werden künftig ebenfalls Auf diese Weise erscheinen …
Der Beitrag [SCHREIBWERKSTATT]: Der Textumfang 2: Was habe ich da … erschien zuerst auf Kultplatz.net …
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