Der Umfang des Textes spielt selbstverständlich eine Rolle, auch wenn das Thema in Foren allzu oft emotionalisiert wird. Man soll die Geschichte selbst bestimmen lassen, wie lang sie wird, ist ein oft geforderter Tenor. Ja, klar. Aber das eine hat mit dem anderen nur bedingt zu tun, vor allem, wenn ich die Freiheit habe zu schreiben, wie es mir in den Kram passt. Sonst wird es problematisch.
Also, wozu muss man das überhaupt wissen? A) Weil man eine Vorgabe hat, nach der man sich richten muss. B) Weil es gar nicht so unwichtig ist zu wissen, ob man jetzt einen Roman oder eine Novelle oder Kurzgeschichte geschrieben hat. (diese Einteilung wird im nächsten Beitrag der Schreibwerkstatt behandelt).
Darüber hinaus braucht ein Verleger – oder auch der Self-Publisher – den Umfang, um die Seitenzahl des Werkes zu kennen, woraus sich die Kosten für die Bucherstellung ableiten lassen. Also, wir wollen wissen, welchen Umfang unser Buch hat.
Es gibt zwei Zählweisen:
— Zählweise dt. Raum: Üblich ist das Zählen der Zeichen, inklusive Leerzeichen, die ja, wie ihr Name schon sagt, selbst Zeichen sind.
— Zählweise engl. Raum (US, UK): Hier verwendet man die Wortzählung.
Bemessungsgrundlage ist in beiden Fällen die NORMSEITE:
— Normseite dt. Raum: Eine Serifenschrift (z.B. Courier) in Größe 12pt, Zeilenabstand 1,5. Ränder werden so gesetzt, dass eine Zeile 60 Anschläge lang ist, und eine Seite 30 Zeilen hat. Die so gezählten 1800 Anschläge gelten als Normseite.
— Normseite engl. Raum: Ebenfalls Serifenschrift, ebenfalls in 12pt. Die Rechnung ergibt durchschnittliche 250 Wörter pro Seite.
Auf den ersten Blick erscheint die Zeichenzahl genauer. Wörter sind unterschiedlich lang und eine Seite mit vorwiegend langgezogenen, ausgedehnten Wörtern kommt auf eine viel geringere Zahl als eine mit kurzen, knackigen Wörtern. Stimmt. Umgelegt auf die Gesamtzahl der Wörter kommt allerdings der richtige Durchschnitt zum Vorschein, um den Umfang festzustellen. Sonst würden wohl sämtliche Verlag im englischen Raum seit Jahrzehnten falsch rechnen. Unwahrscheinlich.
Die Wort/Zeichenzahl pro Seite ist niemals exakt der Norm entsprechend. Absätze, Einrückungen, Kapitel, alles verändert die Anzahl der Seiten. Aber die Rechnung ist nahe genug an der Wahrheit, um den Papierbedarf zu errechnen, damit die Druckkosten. Um in den Werbefoldern die Seitenzahl zu drucken. Im übrigen ist, drucktechnisch dank der Papierbögen bedingt, die Seitenzahl eines Buches stets durch 4 teilbar (nicht die Seitennummerierung! Die tatsächliche Zahl der Seiten!).
Der Vorteil der Wortzählung ist einfach. Die Zahl ist leichter vorstellbar und auf ein Buch umzumünzen. 80.000 Wörter lassen sich leichter begreifen als 225.000 Zeichen. Ausgenommen bei uns werden überall sonst die Wörter herangezogen – und die meisten, für Autoren interessanten Blogs und Websites sind im englischen Raum angesiedelt.
Da jede Textverarbeitung beide Zählweisen beherrscht, ist es einfach, für sich die Wörter zu nehmen und Verleger mit der Zeichenzahl zu beglücken.
Ich habe vor ein paar Jahren zeitgleich bei 2 Verlagen Bücher in Arbeit gehabt. Einer, nicht klassisch strukturiert und mit Schwerpunkt englischspr. Phantastik zählte die Wörter. Der andere Verlag, klassisch konservativ und Schwerpunkt dt. Literatur, zählte die Zeichen. Ich habe irrtümlich einmal dem Zeichenzähler die Worte genannt und dort eine mittlere Panik ausgelöst, bis beide Seiten den Irrtum bemerkt haben. Verlage können in den Angaben recht stur und unflexibel sein.
Ich selbst verwende die Wortzählung und es irritiert mich absolut, für gewisse Erzählungen, die ich für Anthologien schreibe, eine Vorgabe von 40.000 Zeichen zu haben. Aber das ist Geschmackssache.
Man sollte die Regeln kennen, um sie zu missachten. Und um sie zu missachten, sollte man wissen, was man tut. Um das zu wissen, sollte man das Handwerk beherrschen. Und zur Beherrschung des Handwerks gehört das Wissen um dessen Regeln.
ANMERKUNG:
Viele Informationen dieser Art kommen aus dem klassischen Verlagswesen. Wir wissen allesamt, dass die Änderungen und Umbrüche auch dort enorm sind. All die Regeln und Messungen sind in dem Moment hinfällig, wo der Autor beschließt, das Buch rein als eBook zu veröffentlichen. Was kümmert es den Reader, ob es 70 oder 7000 Seiten sind? Einzig die Leserschaft entscheidet, ob das, was sie da vorgesetzt bekommt, ihren Vorstellungen und Erwartungen entspricht.
Trotzdem oder gerade weil sich die Möglichkeiten unendlich verfielfacht haben, kann es nicht schaden, das grundlegende Wissen der Branche wenigstens in Ansätzen zu kennen. Für viele Neueinsteiger oder Schreibende, die in eine Krise geraten, ist eine solche Orientierungshilfe oft praktisch. Auch für Autoren, die einen Genre-Wechsel durchziehen, mag manches davon von Interesse sein.
Wem das alles egal ist und wer seinen Weg ohne solche Informationen geht und gehen kann, dem sei gratuliert. Beste Wünsche! Aus meiner Erfahrung gesehen, ich habe für Verlage geschrieben und bin Self-Publisher, ist es durchaus hilfreich, diese Vorgaben und Ideen zu kennen, die in der Verlagswelt immer noch eine bedeutende Rolle spielen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Kultplatz.net und wird jetzt auf JohnAysa.net und DingeDesAlltags.com zusätzlich eröffnet. Weitere Beiträge werden künftig ebenfalls Auf diese Weise erscheinen …
Der Beitrag [SCHREIBWERKSTATT]: Der Textumfang 1: Richtig gezählt … erschien zuerst auf Kultplatz.net …
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