Cari Mora ist der neueste Thriller von Thomas Harris. Thrillerleser, vielleicht sogar die eher älteren Semester, kennen ihn als den Autor von Roter Drache und Das Schweigen der Lämmer. Erfinder von Hannibal Lecter – ja, der Typ aus der Serie. Thomas Harris ist einer der Autoren, der Romane in Abständen schreibt, die eines George R.R. Martin würdig sind – und gleichzeitig ist er einer der Autoren, an die man enorme Erwartungen knüpft.
Der Inhalt wird – für die deutsche Ausgabe (!) wie folgt beschrieben: Die Schreie einer Frau sind Musik in seinen Ohren. Er ist groß, blass, haarlos, und wie ein Reptil liebt er die Wärme. Menschen begegnen ihm mit Angst und Ekel. Er ist daran gewöhnt. Denn wenn sie das Monster in ihm erkennen, ist es meist zu spät. Bis der Killer sich Cari Mora aussucht. Die junge Frau hat keine Angst vor dem Grauen und wagt es, dem Dämon ins Auge zu blicken.
Das haarlose Reptil ist ein perverser Killer namens Hans-Peter Schneider. Die deutsche Inhaltsangabe ist, man möchte schon fast sagen, der typische Etikettenschwindel einer Marketingagentur, die sich in Wahrheit einen Scheiß um das kümmert, was sie bewerben soll. Die Inhaltsangabe weckt falsche Erwartungen und setzt einen völlig verkehrten Schwerpunkt, was das Buch angeht.
Der Inhalt wird – für die originale Ausgabe (!) wie folgt beschreiben: Twenty-five million dollars in cartel gold lies hidden beneath a mansion on the Miami Beach waterfront. Ruthless men have tracked it for years. Leading the pack is Hans-Peter Schneider. Driven by unspeakable appetites, he makes a living fleshing out the violent fantasies of other, richer men.
Cari Mora, caretaker of the house, has escaped from the violence in her native country. She stays in Miami on a wobbly Temporary Protected Status, subject to the iron whim of ICE. She works at many jobs to survive. Beautiful, marked by war, Cari catches the eye of Hans-Peter as he closes in on the treasure. But Cari Mora has surprising skills, and her will to survive has been tested before.
Das klingt tatsächlich nach dem Roman. Trotzdem – Cari Mora ist ein Debakel. Thomas Harris ist ein Autor, der exakt und präzise eine Geschichte zu erzählen vermag, die komplex, durchdacht und spannend ist. Er braucht dazu gar nicht so viele Worte, er findet einfach Worte, die in knappen, beinahe ist man versucht zu sagen, in fast wortkargen Sätzen, wuchtige Bilder erzeugen. Der Stil ist dabei nicht rund, wirkt abgehackt, oft holprig, obwohl die Sätze präzise sind. Somit wird schon der Stil selbst spannend. Wie jemand mit derartigem Können einen Roman so verkacken konnte, ist mir völlig schleierhaft.
Beim Lesen war der Eindruck gegeben, als wollte Harris gar nicht diese beschissene Serienkiller-Sache schreiben, sondern den Action-Thriller, der eigentlich den breiteren Raum des Buches einnimmt. Der Teil der Geschichte um Cari Mora ist eigentlich ein Nebenschauplatz. Der Roman vermittelt den Eindruck, als wollte der Autor ein Buch, der Verlag ein anderes Buch. Rausgekommen ist dabei die schlechteste Variante – zwei halbe Bücher, die zusammen kein Ganzes ergeben. Das ist ungemein deprimierend. Es spielt auch keine Rolle, ob das so war. Schon dass das ein Gedanke ist, der dieses Buch betrifft, ist fatal. So sollte man als Leser nicht über einen Roman denken.
Auffällig ist auch der Umstand, dass das Buch mit knappen, wuchtigen Sätzen beginnt und irgendwann der Stil geglättet erscheint, längere Sätze, voll ausformuliert, haben übernommen. Und der Verdacht schleicht sich ein, dass es da einen Zusammenhang gibt. Das Buch wird schlechter, je angepasster an die Konventionen der Stil ist. Das, was vielleicht ein Stilmittel ist, oder auch nur ein zufälliges Zusammentreffen zweier Dinge, die in keinem Zusammenhang stehen, bekommt dadurch eine ganz eigene Bedeutung, die kontraproduktiv wirkt.
Thomas Harris hat unbegreiflicherweise ein paar Schnitzer begangen, die nicht sein dürfen. Er hat einen absolut schwachen Antagonisten – Schneider. Der Kerl wird zwar zum Schrecken aufgebaut, aber er liefert nicht. Im Gegenteil, Schneider ist eine perverse Witzfigur. Als es nach ewigem Vorspiel endlich so weit ist, dass der Kerl in Aktion tritt, knallt er gegen Personen, die ihm rein logisch unterlegen sein müssten – aber nein, er unterliegt ihnen. Das kann es nicht sein. Das Buch endet derart unvermittelt inmitten eines Showdowns, dass man im ersten Moment meinen möchte, es fehlen ein paar Seiten.
Dieses extrem unerwartete Ende – die Leseproben, die hinten im Roman abgedruckt sind, täuschen bei der Lektüre wenigstens 30 Seiten mehr Umfang vor, so dass man wirklich bass erstaunt ist, wenn das Buch endet – reißt so brutal aus der tatsächlich spannenden Szene, dass man da wahrlich zornig werden kann. Ich bin es zumindest geworden, ich habe mich schlicht um einen Schluss betrogen gefühlt. Kein Effekt, den ich mir als Autor wünsche. Dass ein Buch missfällt, gut, das ist kein Thema, das gehört zum Alltag. Aber um das Ende beschissen zu werden, das passiert viel seltener. Und ausgerechnet hier ist es der Fall.
Das ganze Buch lang wird die Angst vor Schneider hochstilisiert und man beginnt, grauenhafte Bilder dessen zu erdenken, was er wohl Cari Mora antun wird und dann – peng, Buch aus. Das ist ein richtig brutaler Coitus interruptus.
Doppelt pervers an der ganzen Sache ist auch die Haupthandlung. Einen Schatz von Pablo Escobar herzunehmen, ist ein cleverer McGuffin. Damit kann man viele lustige Dinge anstellen und Personen unterschiedlichster Art aufeinanderprallen lassen. Dynamik, Action, alles ist drinnen. Nur endet diese Haupthandlung viel früher, wird durch die Cari Mora-Story ersetzt. Das ist gar nicht toll und fühlt sich verkehrt an. Es sollte umgekehrt sein. Aber dann dürfte das Buch nicht mehr Cari Mora heißen.
Noch dazu verzettelt sich Harris dabei. Er gewichtet die verschiedenen Verbrecherorganisationen unterschiedlich, bleibt auch nicht bei der Gewichtung, was zwar durchaus einer Handlung angemessen sein kann, hier aber irgendwie wirkt, als wäre er außer Tritt geraten und hätte viele Jahre an dem Buch geschrieben, immer wieder andere Interessen vorgezogen und schließlich alles ohne innere Neustrukturierung abgeliefert. Eigentlich sollte ein Lektor hergehen und den Autor dort korrigieren, wo er schlicht storyblind geworden ist. Das ist hier offenkundig nicht geschehen.
Cari Mora wäre ein Erstlingsroman, bei dem man sagen kann, dass der Autor vielversprechend ist, Potenzial hat, wenn er noch ein paar Romane geschrieben hat. Also gut. Nur bei jemandem wie Thomas Harris ist das Buch ein Rohrkrepierer, weil der Mann Das Schweigen der Lämmer verfasst hat, zum Teufel nochmal.
Cari Mora ist ein Lehrbuch für Autoren. Eines der Negativbeispiele, aus denen man lernen kann, was man besser bleiben lässt.
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Der Beitrag [SCHREIBSTUDIUM]: Thomas Harris: Cari Mora erschien am 03.06.2019 auf JohnAysa.net …