Mini Story Nr. 4:
DAS AMT
Kapitel Eins
Er ging unauffällig und langsam über die Brücke, den Blick stetig nach rechts gerichtet. Links rauschte der Verkehr vorbei. Nur wenige Fußgänger kamen ihm entgegen. Seine Augen fixierten den Turm des Amtsgebäudes, das für die beiden nebeneinander liegenden Bezirke zuständig war. Sein Ziel.
Der Tragegurt der schweren Tasche über seiner linken Schulter ließ ihn das beträchtliche Gewicht seines Gepäcks unangenehm spüren.
Fünf Minuten, so lange noch, bis er die Stufen des altehrwürdigen Bauwerks erklimmen und durch die alten, schweren Türen ins Innere gelangen würde. Er war sicher zu wissen, was ihn erwartete und fühlte sich gewappnet dafür.
Seit Wochen hatte er vorsichtig recherchiert und Veränderungen beobachtet. Er verstand bloß nicht, wie es hatte so weit kommen können, vor den Augen der Öffentlichkeit unbemerkt. Und vor allem vor all den anderen Ämtern der Stadt unbemerkt.
Gut, das war, so dachte er zynisch, als er von der Brücke abging und nacht rechts bog, vorbei am Taxistandplatz, nicht weiter verwunderlich. Die Bediensteten der Stadt waren viel, aber in keinster Weise dafür geeignet, ungewöhnliche Veränderungen in den Abläufen und im Gehaben eines Bezirksamtes zu registrieren.
Vor allem, wenn diese Dinge schleichend vor sich gingen. Und genau so war es geschehen. Still und leise. Dass die Bürger nichts mitbekamen, das war klar. Aber ihm war es aufgefallen. Wenngleich nur, weil er aktiv danach Ausschau gehalten hatte.
Parteienverkehr fand ausschließlich auf der Rückseite des Gebäudes statt, in einem modernen Anbau im klassischen Baustil der meisten Amtsgebäude rund um die Welt. Was vorn in den repräsentativen Räumlichkeiten geschah, das wussten nur die, die dort Zutritt hatten.
Die Stumpfsinnigkeit der Verwaltung und die Geheimniskrämerei machte es einfacher, von ihr Besitz zu nehmen und langsam aber sicher weitere Schreckensszenarien vorzubereiten.
Kapitel Zwei
Andres stand jetzt zwischen zwei parkenden Wagen auf der anderen Straßenseite unmittelbar gegenüber dem Aufgang. Er würde sich nicht davon abbringen lassen, aber zugleich hatte er die Hosen voll. Angst vor dem, was ihn erwartete. Ihm war nur zu deutlich bewusst, dass das alles auch nur eine Falle sein konnte, um seiner habhaft zu werden. Er hatte sich einen Ruf erarbeitet, der weit über die Stadt, ach was, über das gesamte Land hinausging. In den Kreisen der Eingeweihten war er entweder beliebt oder verhasst. Es gab nichts dazwischen.
Zeit, den Arsch zusammenzukneifen und loszulegen. Es machte keinen Sinn, zu warten. Je länger er hier stand, umso größer die Chance, dass man ihn vorzeitig entdeckte. Andres atmete tief durch und überquerte mit schnellen Schritten die schmale Straße, war die Treppen rauf und durch die Tür in der Vorhalle, ehe er darüber nachdenken konnte. Noch bevor das schwere Tor hinter ihm zugefallen war, hatte er die Tasche offen, von der Schulter und das Sturmgewehr an der Schulter.
Die ersten Feinde tauchten gegenüber auf und er begann zu feuern. Kurze, kontrollierte Feuerstöße. Zischen und Kreischen antwortete ihm, Rauchfäden stiegen auf. Die Vampire hassten Silbergeschosse, und er hatte eine ganze Menge davon mitgebracht. Sie waren verdammt schnell und er hatte innerhalb kürzester Zeit das Magazin leergeschossen. Unter dem Lauf war ein Granatenwerfer. Er feuerte ihn ab, warf sich zu Boden, nutzte die Explosion und das Chaos für den notwendigen Magazinwechsel.
Rollte herum, kam feuernd auf die Knie, stand auf, duckte sich unter einem Hieb durch, schoss, trat zur Seite aus, traf. Dann waren zwei der Blutsauger auf ihm und er musste das Gewehr fallen lassen, sich mit der Silberklinge des Messers zur Wehr setzen, einen Freiraum erkämpfen, um an seine Tasche mit weiteren Waffen zu gelangen.
“Tötet ihn nicht”, übertönte ein Ruf den Lärm. Wie ein Irrer grinsend nutzte Andres den Vorteil, den ihm diese Anweisung verschaffte und gelangte wieder an seine Tasche, wühlte in der Sekunde Kampfpause darin nach der Pumpgun mit der für die Vampire horrenden Streumunition aus Silber.
Er riss die Waffe hoch, kam auf die Beine, lud durch und … dann war die Waffe nicht mehr in seiner Hand.
“Gut, aber nicht gut genug”, sagte dieselbe Stimme, jetzt offenbar näher. Und jetzt wurde ihm mit einem Schlag klar, in wessen Bastion er eingedrungen war. Andres wurden die Knie weich und er wäre fast zusammengesackt, hätte nicht ein stahlharter Griff um seinen Oberarm dafür gesorgt, dass er auf den Beinen blieb.
“Ja, echt nicht schlecht”, erwiderte eine zweite Stimme. Andres brauchte nicht zu sehen, wer da neben ihm stand, er wusste es einfach, so wie ihm klar wurde, dass das genau die Falle für ihn gewesen war, an die er vorhin gedacht hatte. Scheiße. Sein Ruf war in diesem Fall einen Dreck wert gewesen.
Kapitel Drei
“Du weißt, wer ich bin, Andres?”, fragte die erste Stimme wieder und jetzt trat auch die dazugehörige Gestalt in sein Blickfeld, vernichtete das letzte Promille Hoffnung auf einen Irrtum seinerseits. Lügen war völlig zwecklos und kontraproduktiv. Das einzige, was er erhoffen durfte war ein rascher und schmerzloser Tod, wenn er ehrlich antwortete.
Er räusperte sich. “Ja, das weiß ich.”
“Dann sag es.”
“Du bist Aria Langford, die Vampirin aus dem Haus Han.”
“Und wer bin ich?”, säuselte die Stimme unmittelbar neben seinem Ohr.
“Du musst dann wohl Flora Langford sein, die Tochter.” Die abgefuckte Irre mit den bunten Haaren. Viel mehr Informationen hatte er nicht zu ihr. Andererseits, sie war nie das Hauptziel gewesen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sie zu übersehen? Egal, jetzt war es zu spät.
“Oh, Andres Gomez. Der große, gefürchtete Vampirjäger. Der erfolgreichste deiner Profession seit van Helsing. Du hast deine Hausaufgaben gemacht, warst aber trotzdem blöde genug, allein herzukommen? Wie konnte dir das passieren?” Hohn schwang in der Frage mit.
Gute Frage. Er wusste es nicht. Und dann stand Aria Langford unmittelbar vor ihm und trotz aller Angst konnte er nicht umhin zu bemerken, wie schön die Vampirin war. Sie übertraf alles, was er an vagen Schilderungen kannte. Und offenbar war sie ihm auch haushoch überlegen, was er sich beim besten Willen nicht hatte vorstellen können.
“Du wurdest dazu verführt”, kicherte Flora Langford und ihre Stimme bescherte Andres sowohl eine Erektion wie auch einen schmerzhaften Druck auf der Blase, sich vor Angst anzupissen. Es war sowas von klar, dass es wohl nichts mit dem schnellen, schmerzfreien Tod würde.
Schritte hallten durch die sonst stille Vorhalle des Gebäudes. Hohe Stilettos.
“Ah, meine Traell. Sind wir soweit, unseren Freund unbemerkt hier wegbringen zu können? Ich würde mich gerne noch ein wenig länger mit ihm unterhalten.” Die Antwort der zierlichen Frau mit den Dreads bestand aus einem kurzen Zucken des rechten Mundwinkels und einem angedeuteten Nicken.
“Sehr schön. Dann wollen wir diese reizende Unterhaltung anderswo fortsetzen. Du bist herzlich eingeladen, Andres Gomez.”
Gomez ließ alle Hoffnung fahren.
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Das Amt – eine Aria Langford Story.
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(c) John Aysa 07/2024
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Danke fürs Lesen und noch einen schönen Tag
John
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Beitrag veröffentlicht am 06.07.2024 auf JohnAysa.net …
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