Bizarro ist eine Literaturgattung, das bei uns kaum bekannt ist, obwohl sich mehrere Verlage bemüht haben, Werke, die auf diese Weise gebrandet waren, unters Volk zu bringen. Voodoo Presse, nicht mehr existent, war ein solcher Verlag, Festa hat es ebenfalls mit drei Titeln probiert und ist dabei gegen die Wand gefahren. Immerhin hatte man dort sich an Carlton Mellick III versucht, dem wohl bekanntesten und auch erfindungsreichsten Autor des Bizarro.
Bizarro beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Genre, es ist die Art, wie eine Geschichte erzählt wird. Man könnte es auch Absurdismus oder Eskapismus nennen, weil die Handlung über drastisch aus dem Rahmen fallende Figuren und Handlungsabläufe an … bizarren … Schauplätzen geschildert wird. Eraserhead Press in Portland, Oregon, ist der zentrale Hub dieser Literaturform und auch dessen erste Adresse. Auch wenn er nicht in diese Kategorie fällt, so hat zum Beispiel Brian Keene den Großteil seines Werkes dort publiziert, auch Wrath James White, ebenfalls kein Bizarro-Autor, erscheint dort.
Seit einigen Jahren gibt es den BizarroCon, der jährlich veranstaltet wird, um Genre und Fans zu feiern. Auf diesem Con, dieses Jahr war es der BizarroCon 11, findet auch ein Autorenwettbewerb statt, in dem diese in ein paar Minuten auf der Bühne das Publikum unterhalten müssen – in welcher Form auch immer. Nun hat sich der Autor Chandler Morrison dort einen Auftritt erlaubt, der zumindest in der Welt des Bizarro für einen gehörigen Skandal gesorgt hat:
Er hat auf der Bühne mit der Plastikpuppe eines Babys, die entsprechend präpariert war, einen Sexakt mit einem abgetriebenen Ungeborenen simuliert. Also eine Variante dessen, was der überaus umstrittene, schwer aushaltbare Film A Serbian Film sehr anschaulich dargestellt hat (wobei man den Film in seiner Gesamtheit, mit diesem Finale, als galligsten Kommentar zur Gesellschaft, als bis zum Erbrechen zynische Sichtweise auf Kultur und und Geld-Medien-Aufmerksamkeitsgeilheit Kulturschaffender, etc. betrachten kann. Vorgeführt mit extremsten Schockmethoden – Geschmack ist ja bekanntlich sehr individuell und persönlich).
Einen sehr feinen, nach allen Seiten hin ausgewogenen Bericht darüber, was auf dem Con vorgefallen ist, findet man auf File770. Was an dem Akt selbst, der von einigen Leuten als reiner Unsinn abgetan wurde, so faszinierend ist, das sind die Folgen. Es gab Beschwerden darüber. Es gab jede Menge Entschuldigungen von Betroffenen und Nichtbetroffenen, Facbook-Diskussionen, und so weiter. Offensichtlich hat dieser Akt, der durchaus auch seine Verteidiger hat, aber weiter geführt.
Rose O’Keeffe, die Eraserhead-Verlegerin und Organisatorin des Con, hat einen offenen Brief an die Bizarro-Gemeinde gerichtet. Sie tritt mit sofortiger Wirkung als Organisatorin zurück. Bizarro-Autor und Chef-Editor von Eraserhead Press, Jeff Burk, ist mit sofortiger Wirkung aus dem Verlag ausgeschieden. Der Vertrag mit Chandler Morrison wurde vom Verlag aufgelöst, die Buchrechte an den Autor zurückgegeben. Per Ende Februar wird der Bizarro-Autor G. Arthur Brown aus dem Verlagsprogramm genommen und die Rechte an seinen Büchern zurückgegeben.
Weitere Folgen sind die Einrichtung von Standards, wie sie auf Cons üblich werden – Verhaltensregeln, Anlaufstellen und Kontaktpersonen, um sexuelle Belästigungen zu melden, usw… also Dinge, die BizarroCon bisher scheinbar vermisst hat. Insofern sind die Folgen positiv zu bewerten und Rose O’Keeffe, die sich um die Einrichtung der Standards kümmert, hat wohl auch dazugelernt, wie sie selbst in dem offenen Brief schreibt.
Es ist insgesamt wohl auch ein schwieriger Spagat als Verleger zu erkennen, wo ist man mitverantwortlich für das Verhalten eines Autors und wo ist Blödheit dessen persönliches Problem. Aus dem, was bisher erlesbar war, ist nur nichts erkennbar, was die Vertragsauflösung mit Morrison als Notwendigkeit aufzeigt. Auch Brian Keene, dem dieser Auftritt nicht zugesagt hat, kommentiert, ihn für einen gutherzigen jungen Kerl zu halten. Bleibt die Frage, welche Verfehlungen haben sich Jeff Burk und Arthur Brown erlaubt, um so geschast zu werden. Sexuelle Belästigung, Übergriffe, etc., dann ist ihre Entfernung aus dem Bizarro-Zirkel absolut gerechtfertigt. Morrison nicht zu verhindern? Das wäre eine absolut überzogene Reaktion. Und natürlich bringt diese ganze unglückliche Sache auch das Thema Zensur und Freiheit der Kunst wieder ins Gerede und schiefe Licht.
Was sich jedenfalls zeigt ist, dass es selbst in einer Literaturgattung, die durchgeknallte Ideen und Unsinn abfeiert, eine Reglementierung und vor allem deren Durchsetzung braucht. Bizarro wird erwachsen, könnte man sagen. Vielleicht ist damit BizarroCon 11 der Wendepunkt, der eine Nischenliteratur den Zugang zu einem breiteren Markt ermöglicht, der Regeln und Ordnung so sehr schätzt.
Das Erwachsenwerden ist einerseits schade, unbeschwerte Idiotie ist eigentlich sogar eine Notewendigkeit, besonders in einer Gesellschaft, die zunehmend zu einem restrektiven Verhalten neigt, andererseits ist (literarische) Anarchie kein Freiraum für (reales) beschissenes Benehmen und Belästigung anderen Leuten gegenüber. Und vielleicht findet sich mit dem Erwachsenwerden dieser Literaturgattung doch noch eine Möglichkeit, diverse Bizarro-Titel bei uns so zu veröffentlichen, dass sie ein Publikum finden. Denn insbesondere Carlton Mellick III finde ich lesenswert und clever.
Es ist irgendwie nur schade, wenn ein Autor durch eine schwachsinnig provokante Bühnenshow der geschmacklosen Art gleich seinen Buchvertrag verlieren muss. Aber vielleicht klärt uns Brian Keene über die weitreichenderen Folgen dieses Fuckups hinter den Kulissen auf, der sich des Themas in seinem nächsten Podcast (den dann aktuellen Link werde ich hier aktualisieren) annimmt.
Der Beitrag [FUCKUP]: Ein (kleiner?) Bizarro-Skandal erschien am 30.01.2019 auf JohnAysa.net …
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