Der folgende Beitrag könnte Spoiler enthalten, wenn man tatsächlich bei einem Film wie The Cloverfield Paradox gespoilert werden kann. Außerdem finden sich ein paar verallgemeinernde Zynismen darin.
The Cloverfield Paradox ist ein interessanter Film. Zumindest in der Hinsicht, dass man als Autor eine unvorstellbare Menge an Fehlern sieht, die tunlichst zu vermeiden sind. Diese Ansammlung an Unsinnigkeiten, die hier gesammelt ist, lässt den Film – storytechnisch – zu einer absurden Lächerlichkeit verkommen, wie man sie selten zu sehen bekommt.
Paradox ist unterhaltsam, trotzdem. Er macht auf seine Art Spaß. Zum einen wegen der unfreiwilligen Lächerlichkeit der erzählten Geschichte. Zum anderen deshalb, weil sehr gut Schauspieler und ebensolche Effekte diesen Schwachsinn vor dem Totalabsturz retten. Der Film ist auch in der Hinsicht ein Lehrwerk, als hier deutlich vorgeführt wird, was gute Schauspieler vermögen – nämlich etwas unrettbares über Wasser halten.
The Cloverfield Paradox war ursprünglich God Particle und hatte keinerlei Verbindung zu den Cloverfield-Filmen. Der Film wurde erst nachträglich umgemodelt – Schlußpointe, Nachdreh einzelner Szenen auf der Erde, alles um eine Verbindung quasi zu erzwingen. Selbst wenn man diese insgesamt paar Minuten maximal weglässt, bleibt ein unglaublicher Haufen Schwachsinn zurück.
Die Drehbuchautoren Oren Uziel und Doug Jung haben zwei schwere Fehler begangen:
a) Ihre Prämisse ist eine Katastrophe. Sie haben sie selbst nicht verstanden.
b) Es gibt keinerlei Konsistenz oder innere Logik.
Ein Film, ein Roman, was auch immer, eine Geschichte funktioniert auch dann, wenn die Ausgangssituation ein Unsinn ist – solange man die innere Struktur und Logik beibehält. Dann hat man eine Fantasy/Science Fiction, oder was auch immer, die aber funktioniert, weil sie sich an ihre eigenen Gesetze hält. Das Drehbuch hat beide Grundlagen komplett versaut und in Folge musste die Angelegenheit immer absurder werden, um überhaupt in Gang zu bleiben. Was dabei rausgekommen ist, spottet aus erzählerischer Sich jeglicher Beschreibung:
Eine globale Energiekrise, die innerhalb der nächsten 5 Jahre die Menschheit ohne Energie dastehen lassen wird. Sie kann nur aufgehalten werden, indem man ein nicht näher beschriebenes McGuffin (ein Handlungsvorwand) namens Sheperd in einer Raumstation im Orbit in Betrieb nimmt. Das ist die Ausgangssituation. Den Autoren zufolge wird es künftig keine Sonnenenergie, keine Wasserkraft, keine Windenergie, keine Gezeitenkraftwerke geben, nicht einmal verfluchte Atomkraftwerke werden Energie herstellen können, um die Zivilisation am Laufen zu halten. Aha.
Bin ich jetzt überempfindlich oder ist das tatsächlich schmerzhaft schwachsinnig? Die Autoren haben keinen Tau, was Energie betrifft, kann das sein? Und kein Produzent und kein Executive der produzierenden Studios Paramount und Bad Robot hat die beiden gefeuert und den Mist neu schreiben lassen. Beeindruckend. Entweder hat es niemand verstanden und nicht zugegeben oder es hat tatsächlich kein Mensch dieses Skript gelesen.
Nach 2 Jahren voller Fehlschläge und ungeheuren Energiekosten startet das Shepard-Ding (ein Teilchenbeschleuniger) endlich und das erste, was passiert ist, es kommt zu einer Kollision mit einem Higgs-Bosom und bringt das Gefüge der Dimensionen durcheinander? Ganz so, wie es in einer zu langen Szene irgend ein amerikanischer Brahmane in einer Nachrichtensendung im Fernsehen orakelt hat? Oh, bitte.
Ernsthaft? Der Flux-Kompensator von Cloverfield zerlegt Raum und Zeit? Warum zum Teufel haben die nicht einfach ein paar Sonnenkollektoren mehr aufgestellt?
Unsere Wissenschaftler stellen fest, nachdem die Sache mit den Explosionen (Warum explodiert eigentlich immer was? Simple Kurzschlüsse gibt es wohl nicht) irgendwie überstanden ist, dass die Erde verschwunden ist. Futsch, weg. Aha. Also ist es offensichtlich logisch, dass man in einem Fall einer Katastrophe mit Explosionen davon ausgehen muss, dass die Erde sich verpisst, nicht, dass sich vielleicht die Raumstation irgendwohin bewegt hat.
Ab jetzt wird es richtig unheimlich und spannend und gruselig. Denn nun geschehen all die seltsamen Dinge, die in Raumfahrzeugen mit laaaaaaangen Korridoren so passieren und sie alle werden in den altbekannten Standardsituationen geschehen, die durch verdächtige Kamerapositionen und unheimliche Musik vorab angekündigt werden. Gruselig, was?
Weil Raum und Zeit durcheinandergeraten sind, findet sich eine Frau in den Kabeln hinter einer Wandverkleidung gefangen – sie kennt die Hauptfigur, die aber die Kabelfrau nicht kennt. Die feste Wandstruktur löst sich an einer Stelle auf und nimmt einem der Besatzungsmitglieder den Arm, was den Mann nicht daran hindert, weiterhin cool zu sein, weil er nichts spürt.
Der Arm taucht übrigens wieder auf, zieht sich selbst durch die Station, wird geborgen und schreibt dann einen lebenswichtigen Hinweis nieder!!! Aus einem normalen menschlichen Arm wurde so das Eiskalte Händchen der Addamy Family. Nicht einmal mit all der Unlogik, die der Film aufbietet, ist die Sache mit dem Arm auch nur ansatzweise zu rechtfertigen. Vor allem spielt der Arm danach keinerlei Rolle mehr.
Dafür finden sich die Würmer, die an Bord gezüchtet werden (???) in einem Körper wieder – alle! Und bringen die Person damit um, aber erst, nachdem diese sie spektakulär ausgekotzt hat.
Paradox macht den katastrophalen Fehler, innerhalb des Films mehrmals zwischen verschiedenen Genres zu wechseln, ohne eine Verbindung dazwischen herzustellen. Thriller – Wettlauf gegen die Zeit, die beschädigte Realität, das Sterben. Science Fiction – die Raumstation, das Sheperd, Cloverfield. Horror – der lebende, abgetrennte Arm, die Würmer. Jedes für sich in einem eigenständigen Film – ok. Alles zusammen in einem Film – nicht ok.
Ich höre an dieser Stelle auf, weiter ins Detail zu gehen, sonst wird das ein eeeeeeewig langer Beitrag hier. Aber wundert es wen, wenn die so genannte Pointe, die verantwortlich dafür ist, diesen Film ins Cloverfield-Universum einzusortieren, schon Meilen vorher erahnbar ist? Und habe ich schon erwähnt,wie unglaublich krampfhaft der Film politisch korrekt besetzt ist? Sagenhaft. So “brav”, dass es schon wieder ärgerlich wirkt.
Der Film liefert solche Dinge Schlag auf Schlag. Ununterbrochen kommt etwas daher, das keinen Sinn ergibt und vorab durch die Inszenierung verraten wird. Wie ich vorhin erwähnt habe, die Schauspieler arbeiten sich mit Würde durch diese Abfolge an Schwachsinnigkeiten und die Effekte-Leute dachten wohl tatsächlich, sie würden zu einem guten Film beitragen. Eine einfallslose Regie und ein gotterbärmliches Drehbuch haben sie im Stich gelassen. Ungefähr ab der Hälfte, nach einer Szene auf der Erde in der Ruine eines Hauses, ist klar, was das letzte Bild des Films sein wird.
Intelligent an dem Film war einzig seine Vermarktung. Die Studios, die draufkamen, dass der Film ein Debakel ist, das man nie und nimmer ins Kino bringen kann, haben den Film an Netflix abgetreten und damit sichere Verluste vermieden. Netflix hat einen einzigen, sehr cleveren Werbeschachzug durchgezogen und einen riesigen Hype verursacht. Peng. Und die Produzenten, die den Unsinn bewilligt, finanziert und organisiert haben, kommen davon.
Ich werde mich jetzt nicht über J.J. Abrams auslassen, diese Verkörperung des krampfhaften, langweiligen, auf Massentauglichkeit runterreduzierten Banalgeschmacks, der aus Star Trek und Star Wars verwechselbare, durchschnittliche Langweile gemacht hat und dessen einziges Bemühen darin besteht, möglichst vielen, vielen Leuten zu gefallen. Ein Mann, dessen Filme so konservativ inszeniert und geschrieben sind, so bieder und spießig, so trivial und ohne irgendein Element, das herausragt oder bemerkenswert ist oder polarisieren könnte oder künstlerisch auffällt – dafür sind sie alle untereinander austauschbar, weil gleichförmig. Das einzige, worauf er sich versteht, ist das inszenieren von Erwartungshaltungen und Hypes und damit schummelt er sich über seine vollkommene Banalität hinweg. Nein, ich werde mich nicht über J.J. Abrams auslassen, denn der Mann hat was an sich, was mich auf die Palme bringt.
Es geht schlicht um die unglaublich schlechte Story. Wer einen Roman schreibt, der so haarsträubend ist, wird wohl sehr schnell kein Buch mehr verkaufen. Fehler, die erst von Lesern entdeckt werden, passieren immer wieder, das ist nicht der Punkt. Die Sache ist, The Cloverfield Paradox ist ein unglaublich faul und schlampig verfasstes Drehbuch, das nicht einmal über genügend spektakuläre Szenen verfügt, um von seinen extremen Schwächen und Fehlern abzulenken.
Als Autor kann man diesen Film nehmen und studieren und genau sehen, was man alles nicht tun darf. Jede nur vorstellbare Standardszene ist in der Story verpackt. Korrektur, es fehlt die obligatorische Sexszene – gibt es nicht bei J.J. Abrams Produktionen. Vom Erzählrhythmus angefangen bis hin zur nachträglich hinzugefügten Schlußpointe entspricht das Skript voll und ganz dem Don’t do that shit Handbuch.
Richtig eingesetzt sind Standarsettings wirkungsvoll. Sie können sogar einen positiven Beitrag leisten – sie sorgen für die nötige Stimmung, sie helfen Lesern/Zuschauern bei der Orientierung, sie gewähren eine kurze Verschnaufpause oder bereiten einen Überraschungsmoment vor. Es gibt keinen Grund, Standards grundsätzlich abzulehnen.
Es ist aber fatal – und The Cloverfield Paradox führt es anschaulich vor – NUR Standards zu verwenden. Damit verkommt die Erzählung zu banalem Mittelmaß, das dann nicht mehr in der Lage ist, strukturelle und logische Schwächen der Geschichte abzufangen. Es passiert das Gegenteil, die negativen Aspekte werden betont. Wenn man darüber hinaus auch noch keine Ahnung von der Materie hat, die als Grundlage der Geschichte herhält, wird es kritisch.
Ein positives Beispiel für die Strukturierung einer Geschichte ist die Serie Godless. Die habe ich hier erwähnt. Godless macht alles richtig, was Paradox falsch macht. Beides sind wunderbar Studienobjekte, um sich mit dem Geschichtenerzählen eingehender zu beschäftigen. Aus der Betrachtung beider Werke kann man eine Menge lernen. Es ist definitv mühsamer, etwas wie Godless zu schreiben als etwas wie The Cloverfield Paradox.
Wer etwas über das Schreiben lernen will, kann The Cloverfield Paradox als Lehrfilm betrachten. Paradox ist unterhaltsam genug, wenn auch auf andere Art, als die Macher wohl beabsichtigt haben.
Besten Gruß und schreibt gut!
John
Der Beitrag [DUMMVERSUM]: The Cloverfield Paradox (ein Lehrfilm) erschien zuerst auf JohnAysa.net …
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